KI = Kein Interesse? Mitnichten, der Vergaberechtstag 2024 war bestens besucht. Ein Rückblick
Zum 15. Mal jährte sich heuer der Vergaberechtstag, der auch in diesem Jahr in Wien stattfand. Die auffallend hohe Teilnehmer:innenzahl war wohl dem spannenden Thema KI (Künstliche Intelligenz) geschuldet und einem besonderen Querschnitt an Perspektiven und Sichtweisen rund um den Veranstaltungstitel „Künstliche Intelligenz (KI) in der Beschaffung: Kunst oder Künstlich“.
Dienstag, 18. Juni 2024, 8:30 Uhr, Wiener Ringstraße, gefühlte 30 Grad im Schatten, der Saal im wohlklimatisierten Hotel Bristol beginnt sich zu füllen. Heiße Themen für kühle Köpfe werden auch schon am Vergaberechtstag eins, dem sogenannten Pre-Workshop-Tag, präsentiert.
Nach einer Begrüßung durch das Veranstaltungs-Team von imh (Institut Manfred Hämmerle GmbH) moderiert die renommierte Expertin für Vergabeberatung und Vergabemanagement Frau Mag. Alexandra Terzaki den Tag an.
Die Vortragenden am Pre-Workshop-Tag
Im Laufe des ersten Tages kommen Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Zankl (Leiter des Europäischen Zentrums für E-Commerce und Internetrecht, Universität Wien), RA Dr. Georg Huber, LL.M. (GPK Pegger Kofler & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG), RA Mag. Harald Küchli (Thurin Küchli Partner Rechtsanwälte GmbH) und Emir Prcic, MBA (Geschäftsführer des ANKÖ) zu Wort. Nachstehend ein Querschnitt der wichtigsten Inhalte vom ersten Tag.
KI als Thema
Das Generalthema „Künstliche Intelligenz in der öffentlichen Beschaffung – Kunst oder Künstlich?“ zieht sich konsequent durch sämtliche Vorträge und Diskussionen der beiden Tage.
Neben grundlegenden Inhalten wie
- Was ist KI?
- Welche KI-Systeme gibt es und wie können sie eingesetzt werden?
- Was ist Machine-Learning bzw. Deep-Learning?
- Was ist ein Prompt?
- Was ist eine Halluzination und wie erfinden KI-Systeme unwahre Inhalte?
wurde im Laufe des ersten Tages immer stärker auf praktische Anwendungen in der Vergabewelt eingegangen.
KI-Fallstudien
In unterschiedlichsten Geschäftsfeldern wird KI bereits eingesetzt: Amazon prüft Rücksendungen, Procter & Gamble berechnet Hygienebedarfe, Siemens checkt Lieferanten und Singapur nutzt KI für politische Lösungen. Und was macht die Vergabewelt? Wie nutzt sie KI?
Mit Vorsicht genießen
„KI ist entweder das Beste oder das Schlimmste, das der Menschheit zustößt“, schrieb der Physiker Stephen Hawking bereits 2018 in seinem Buch „Kurze Antworten auf große Fragen“, also schon vier Jahre vor dem fulminanten Start von „Chat-GPT“ im November 2022. Hawkins duale Prognose hielt bis in den Vergaberechtstag hinein stand, wo glühende KI-Verehrer:innen ebenso wie starke KI-Skeptiker:innen zu Wort kamen.
Danach wurde präsentiert, dass Chat-GPT heute über 400 Milliarden Wort-Satz-Kombinationen intus hat, aus denen, einzig basierend auf „wahrscheinlichste Antwort“ Antwort-Texte generiert werden. Chat-GPT merkt dabei nicht, ob die Antwort „richtig“ ist, es ist lediglich die „wahrscheinlichste Möglichkeit“. Diesen Effekt der unwahren Antwort nennt man „Halluzination“, wie wir gehört haben, Chat-GPT „halluziniert“ demnach. Mit „in two years this will be fixed“ beantwortet Bill Gates das Ende dieses Problems, andere Expert:innen glauben nicht daran, dass KI jemals erkennen wird, ob Antworten frei erfunden oder tatsächlich reell sind. Basierend auf diesem Wissen sei also auch bei Anwendung von KI in der Vergabewelt Vorsicht geboten.
KI in der Vergabewelt: Wer haftet?
Auch in der Vergabewelt hat Chat-GPT bereits nachweislich halluziniert, indem Fantasie-CPV-Codes (Englisch: Common Procurement Vocabulary; Deutsch: Gemeinsames/Einheitliches Vokabular für öffentliche Aufträge) als Antwort ausgegeben wurden. Auch Quellenangaben waren teilweise frei erfunden. Dementsprechend stellt sich die Frage: Wer haftet? Nach neuestem Stand ist geplant, Chat-GPT rechtlich als „Produkt“ zu definieren.
EU: Novelle Produkthaftungsrecht
Die Novellierung der Produkthaftungsrichtlinie („ProdHaftRL-E“) sieht vor, Software, also auch KI-Systeme, zukünftig als „Produkt“ zu definieren. Das Produkthaftungsrecht erstreckt sich nach der Reform auch ausdrücklich auf Software und KI-Systeme. Im Gegensatz dazu werden vom bisherigen Produkthaftungsgesetz (ProdHaftG) bisher nur bewegliche Sachen (und Elektrizität) erfasst, was den heutigen wirtschaftlichen Entwicklungen nicht mehr gerecht wird. Software und KI sind isoliert und als Bestandteil von Produkten derart verbreitet, dass auch potentielle Schäden durch den Einsatz von Software und KI erfasst sein müssen.
KI bei ANKÖ im Einsatz
Als Abschluss des ersten Tages zeigte Emir Prcić, Geschäftsführer des ANKÖ, wie KI zum Analysieren von Ausschreibungsunterlagen erfolgreich eingesetzt werden kann. Zusätzlich wurde ein Pilotprojekt des ANKÖ vorgestellt, das sich mit dem Management von Referenzen beschäftigt. Dieses Projekt wird bei Erreichen der Marktreife die Produktwelt der ANKÖ-Vergabe-Lösungen ergänzen und als erstes Vergabe-Referenz-Management-Tool europaweit veröffentlicht werden. Stay tuned!
Die Vortragenden am Konferenz-Tag
Auch am Konferenz-Tag, dem 19. Juni 2024, war der generelle Fokus auf KI in der Vergabewelt gerichtet. In einem richtig knackigen Vortrags-Takt wurden spannende Themen rund um KI in der öffentlichen Beschaffung diskutiert. Unter anderem kamen Dr. Thomas Ziniel, LL.M., BSc (Bundesverwaltungsgericht), Nahed Hatahet (Digitalexperte), Carsten Klipstein (Geschäftsführer der cosinex GmbH), Mag. Hubert Reisner (Richter am Bundesverwaltungsgericht), Dr. Sebastian Wieser (Gründer von Unite), Benjamin Braun BSc (EFS Unternehmensberatung GesmbH), RA Dr. Claus Casati, RA Dr. Kathrin Hornbanger (Hornbanger Rechtsanwaltskanzlei) und Dr. Stefan Mathias Ullreich (Leitender Prokuraturanwalt in der Finanzprokuratur) zu Wort. Den Abschluss machte Mag. Monika Herbstrith-Lappe (Geschäftsführende Unternehmerin, Impuls & Wirkung – Herbstrith Management Consulting GmbH) mit Ihrem köstlichen Impulsvortrag „Ein Meer an Möglichkeiten“.
Haftung, again
Auch am Konferenz-Tag war die Haftung rund um KI Thema. Auch „wenn die Halluzination ohne Vorsatz passiert, ist KI nicht geeignet, Entscheidungen zu treffen“, so Bundesverwaltungsrichter Mag. Hubert Reisner. „Wer haftet, ist derjenige, der KI anbietet, bereitstellt oder einsetzt, also immer ein Mensch“, so Reisner.
Fazit: KI ignorieren ist keine Option
Unabhängig davon, ob man KI voll vertraut oder ihr skeptisch gegenübersteht, sie „zu ignorieren ist keine Option“, so Frau Mag. Monika Herbstrith-Lappe im abschließenden Impulsvortrag „Ein Meer an Möglichkeiten“. Sie selbst absolviert gerade einen „KI-Management-Kurs“, um Ihre Position des „Human in the Loop“ weiter zu stärken. Denn wie es Nahed Hatahet in seinem Vortrag so treffend formulierte: „KI ersetzt nicht meinen Job – der, der mit KI umgehen kann, wird meinen Job ersetzen“. In diesem Sinne ist der intelligente Einsatz von KI bald aus keinem Business mehr wegzudenken, auch nicht der Vergabewelt, und wir sind gut beraten, uns intensiv damit auseinanderzusetzen, um KI zum allgemeinen Nutzen behutsam und wohl geprüft in die öffentliche Vergabe einzubringen.
Link: Offizieller Rückblick mit Bild-Galerie
Save The Date: 16. Vergaberechtstag, Mi. 11. u. Do. 12. Juni 2025, Wien