Stellungnahmen zur BVergG-Novelle 2/2: Was Unternehmen am BVergG 2026 kritisieren
Stellungnahmen aus Sicht der Auftragnehmer:innen: Die BVergG-Novelle 2026 bringt für Unternehmen zahlreiche Neuerungen, von stärkeren Qualitäts- und Nachhaltigkeitskriterien bis hin zu strengeren Ausschlussgründen. Gleichzeitig warnen viele Organisationen, dass einzelne Reformelemente zu mehr Bürokratie, rechtlichen Unsicherheiten und geringerer Wettbewerbsintensität führen könnten. Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Kritikpunkte der Auftragnehmer:innenseite und zeigt, welche Änderungen aus Unternehmenssicht als „unverhältnismäßig“ oder „abschreckend“ bewertet werden.
Höhere Schwellenwerte: Wettbewerb und Ausschreibungszahlen im Fokus
Mehrere Stellungnahmen aus Wirtschaft und Verwaltung richten den Blick weniger auf die Schwellenwerte selbst als vielmehr auf deren mögliche Auswirkungen auf Wettbewerb und Ausschreibungszahlen.
Wiederkehrender Kritikpunkt ist, dass ein Rückgang der Ausschreibungszahlen zu eingeschränkten Marktchancen führen kann. Der Rechnungshof weist darauf hin, dass bei Direktvergaben bereits bisher „in 59 % der Vergaben nur ein Bieter ein Angebot legte“, ein struktureller Hinweis auf begrenzte Wettbewerbssituationen. Dieses Datenmaterial wird von mehreren Unternehmen und Verbänden als Argument aufgegriffen, nicht im Sinne einer generellen Ablehnung höherer Schwellen, sondern als Hinweis, dass mehr Transparenz und klarere Regeln notwendig seien, um Marktabschottungen zu vermeiden.
Das Forum Informationsfreiheit hält zu diesem Thema fest, dass „die Anhebung der Schwellen für Direktvergaben ohne gleichzeitige Anhebung der Transparenz von Vergabeverfahren kritisch“ zu sehen sei. Als Vergleich wird etwa die Slowakei genannt, wo Aufträge erst wirksam werden, nachdem sie in einem öffentlichen Register veröffentlicht wurden. Aus dieser Perspektive kann eine Schwellenwerterhöhung ohne zusätzliche Offenlegungspflichten zu weniger Einblick in öffentliche Beschaffungsvorgänge führen und damit zu weniger Wettbewerb.
Auch aus der Wirtschaft werden Warnungen laut, dass frühere Schwellenwertanhebungen bereits zu deutlich weniger Ausschreibungen geführt hätten. Ein privater Einreicher hält fest, dass die letzte Anhebung auf 143.000 Euro „die Anzahl der öffentlichen Ausschreibungen drastisch reduziert“ habe. Zur Veranschaulichung verweist er darauf, dass die durchschnittliche Seitenzahl des Wiener Amtsblattes von „36–48 Seiten“ auf nur noch „8–12 Seiten“ gesunken sei. Aus seiner Sicht zeigt diese Entwicklung, dass weniger Veröffentlichungen zu weniger Wettbewerb führen und damit vor allem kleinere Unternehmen schlechtere Marktchancen haben.
Direktvergaben über 50.000 Euro: Kritik an zusätzlicher Bürokratie
Die neue Drei-Angebote-Pflicht im § 46 Abs. 4 gehört zu den am stärksten kritisierten Regelungen aus Unternehmenssicht. Mehrere große Wirtschaftsvertretungen warnen, dass die verpflichtende Einholung von drei Angeboten ab 50.000 Euro nicht zu mehr Wettbewerb, sondern zu mehr Bürokratie und weniger Marktzugang führt. Die Wirtschaftskammer Österreich (WKO) warnt klar: Die neue Vorgabe bedeute „jedenfalls einen zusätzlichen bürokratischen Aufwand“. Die WKO fordert daher, dass § 46 Abs. 4 „nicht ins Gesetz übernommen“ wird.
Die Vereinigung Industrieller Bauunternehmungen (VIBÖ) äußert nahezu wortgleich Kritik: Die Dokumentation der Einholungsverpflichtung sei „jedenfalls ein zusätzlicher bürokratischer Aufwand“ und bedeute in vielen Fällen „eine faktische Senkung des Subschwellenwerts für die Direktvergabe auf € 50.000,–“.
Auch die Industriellenvereinigung kritisiert die neue „Bemühenspflicht“ deutlich. Es sei „zu befürchten, dass die Formulierung ‚zu bemühen, sofern dem nicht sachliche Gründe entgegenstehen‘ von den Verwaltungsgerichten in vielen Einzelfällen konkretisiert werden muss“. Branchenvertreter:innen heben zudem hervor, dass in vielen spezialisierten Märkten schlicht keine drei Anbieter existieren und Angebotseinholungen daher ins Leere laufen. Aus Unternehmenssicht führt die Regelung damit nicht zu mehr Transparenz, sondern zu Verzögerungen, steigenden Transaktionskosten, besonders für neue Marktteilnehmer:innen.
Ausschlussgründe & Selbstreinigung: Gefahr einer „Doppelbestrafung“
Zu kaum einem Punkt ist das Arbeitgeber:innen- und Unternehmenslager so geschlossen wie beim geplanten Umgang mit Submissionskartellen. Die Novelle sieht vor, den Straftatbestand des Submissionskartells (§ 168b StGB) zusätzlich als eigenen zwingenden Ausschlussgrund in das BVergG aufzunehmen. Kritiker:innen warnen jedoch, dass dadurch zwei unterschiedliche Ausschlussfristen nebeneinander greifen könnten, was faktisch zu einer doppelten Sanktionierung desselben Verhaltens führen würde.
Die Studienvereinigung Kartellrecht kritisiert dezidiert, dass die vorgesehene Änderung „zu weiteren Schwierigkeiten bei der Anwendung der Ausschlussgründe“ führen und eine „mögliche – unionsrechtlich bedenkliche, weil im Ergebnis unverhältnismäßige – Kumulierung der höchstzulässigen Ausschlussfristen“ erzeugen könnte.
Sowohl die VIBÖ als auch die WKO sehen in den vorgesehenen Ausschlussregelungen eine unzulässige Kombination von Sanktionen. Die WKO spricht davon, dass Unternehmer:innen dadurch „de facto doppelt bestraft“ werden und fordert, der Tatbestand des § 168b StGB sei aus dem Katalog zwingender Ausschlussgründe „zu streichen“.
Damit zeigt sich: Während niemand die Bekämpfung wettbewerbswidriger Absprachen in Frage stellt, wird die konkrete Ausgestaltung als überzogen und rechtlich riskant beurteilt.
Qualität statt Preis: Das Bestbieterprinzip stärken
Mehrere Unternehmensorganisationen nutzen das Begutachtungsverfahren, um Verbesserungen im qualitativen Beschaffungsbereich einzumahnen.
AUSTROMED fordert eine wesentlich stärkere Gewichtung qualitativer Aspekte im Zuschlag, nämlich, „dass die Qualität als Zuschlagskriterium im Bestbieterprinzip gesetzlich fest mit mindestens 50 % der Entscheidungsgewichtung verankert wird.“ Die Organisation hält fest, dass bei medizinischen Produkten in besonders sensiblen Bereichen Qualitätskriterien sogar „mindestens 80 %“ ausmachen sollten.
Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), als Interessenvertretung von über 1,2 Millionen Arbeitnehmer:innen, nutzt seine Stellungnahme für eine deutliche Kritik am Fehlen verbindlicher Qualitätsstandards im Vergaberecht. Der ÖGB betont, dass Vergaben nicht weiter von kurzfristigen Preisüberlegungen dominiert werden dürfen, und fordert ein klares Signal des Gesetzgebers: „Zentraler Grundsatz jeder Auftragsvergabe muss die Qualität sein – nicht der Preis.“
Der ÖGB macht damit deutlich: Wenn der Staat jährlich Aufträge im Ausmaß von fast 70 Milliarden Euro vergeben lässt, dann muss dieses Volumen gezielt eingesetzt werden, um Qualität, Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen zu stärken. Reine Billigstbieterentscheidungen seien, so die Botschaft, nicht mehr zeitgemäß und widersprächen einem modernen Verständnis öffentlicher Verantwortung.
Innovationsförderung im Vergaberecht
Die Industriellenvereinigung (IV) betont in ihrer Stellungnahme die große Bedeutung einer innovationsfreundlichen Vergabepolitik. So begrüßt sie ausdrücklich, dass „innovationsbezogene Aspekte dezidiert in § 91 Abs 5 aufgenommen“ werden und damit eine stärkere inhaltliche Verankerung qualitativer und innovativer Zuschlagskriterien erfolgt. Gleichzeitig mahnt sie jedoch an, dass gesetzliche Änderungen allein nicht ausreichen. Die IV warnt davor, dass die neuen Bestimmungen ohne entsprechende Umsetzungshilfen zu einer „leeren Hülle“ werden könnten, und fordert daher „begleitende Maßnahmen“, um ein Umdenken in der Vergabepraxis zu unterstützen.
Ein weiterer Schwerpunkt der IV ist die Forderung nach flexibleren Verfahrensarten, die Innovationen auch praktisch begünstigen. In diesem Zusammenhang verweist sie darauf, dass ein einstufiges Verhandlungsverfahren gerade in komplexen und innovationsgetriebenen Bereichen sinnvoll wäre, da es „Innovation, Effizienz und Rechtssicherheit gleichermaßen stärkt“.
Fazit: Unternehmen sehen Chancen – aber auch erhebliche Risiken
Die Stellungnahmen aus der Wirtschaft verdeutlichen ein vielschichtiges Bild. Qualität, Innovation und klare Regeln zur Bekämpfung unlauterer Praktiken werden begrüßt. Gleichzeitig kritisieren nahezu alle Unternehmensverbände unnötige Bürokratie, Rechtsunsicherheiten und die Gefahr, dass starre Vorgaben gerade im Unterschwellenbereich zu weniger Wettbewerb und weniger Marktchancen führen.
Unterm Strich wünschen sich Unternehmen ein Vergaberecht, das fairen Wettbewerb ermöglicht, Verfahrenslasten senkt und Innovation fördert, ohne neue Hürden aufzubauen.
Hinweis: Der Artikel basiert auf der umfassenden Analyse aller eingelangten Stellungnahmen zum Begutachtungsentwurf. Die Stellungnahmefrist ist mittlerweile abgeschlossen und der Entwurf wurde inzwischen in seiner überarbeiteten Form als Regierungsvorlage eingebracht.
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